Erfahrungen in der Lehrlingsgruppe des Waisenhauses Basel

Gestützt auf die vorsorgliche Massnahme, welche der Jugendanwalt beantragte, wurde ich am 19.05.1982 ins Bürgerliche Waisenhaus Basel versetzt. Zuvor hatte ich vier Bedingungen zu akzeptieren und zu unterzeichnen, nämlich: regelmässiger Schulbesuch, Einhalten der Hausordnung, Regelmässige Teilnahme an der Familientherapie und keine Briefe intern zu schreiben bzw. weiter zu geben. Man stellte klar, dass kein spezieller therapeutischer Rahmen geboten werde und die Hausordnung und Normen gleichermassen gelten und an 18-19-jährige angepasst waren. Ich war immer noch 14-jährig.  Man kannte das Gutachten und die Diagnosen: Borderline Symptomatik und präsuizidales Syndrom, wobei letzteres erst durch die Heimplatzierungen auftauchte, d.h. bei den Eltern gab es dieses Syndrom nicht. Man wusste also von Anfang an mit wem man es zu tun hatte. Die ersten knapp fünf Wochen ging es so einigermassen gut. Bis auf die zwei 17-jährigen Jungs waren alle 18 oder gar 19 Jahre alt. Ich hatte nichts mit denen zu tun und sie nichts mit mir. Ich sah nie ein, warum ich mich zwingen lassen musste mich mit älteren Jungs zu unterhalten, wenn ich das nicht mochte. Zudem waren die Interessen grundverschieden. Bei den beiden 17-jährigen kam ein kollegiales Verhältnis zu Stande, bei den anderen nicht. Wie konnte man sowas erzwingen wollen. Ich hatte meine Kollegen in der Schule. Einige meiner ehemaligen Klassenkameraden gingen ins gleiche Schulhaus, diese kannte ich schon seit Jahren. Nach der Hauptverhandlung wurde die Massnahme, Unterbringung im Waisenhaus bestätigt. Bereits eine Woche später schrieb das Waisenhaus an den Sozialarbeiter, dass ich die vergangene Woche vier Mal die Schule geschwänzt hätte, was schlicht nicht stimmt. Ja ich hatte einmal geschwänzt. Dann hatten wir 6 Wochen Ferien bis zum 16. August, welche ich zuhause verbrachte.  Zuhause lief alles problemlos, zeitweise fuhren wir ins Ausland für ein paar Wochen. Als ich zurück ins Waisenhaus kam ging es ähnlich weiter, ich spürte allerdings, dass mir gewissen Jungs aus dem Weg gingen, was automatisch dazu führte, dass ich auch so handelte. Zwei oder dreimal kam ich nicht zum Mittagessen. Nein, ich ging nicht nach Hause essen, wie es das Waisenhaus in ihrem Bericht behauptet. Dies geht auch aus einer Aktennotiz der Kinderpsychiatrie hervor. Ich war damals ein Süssigkeitsfanatiker, konnte locker 2 Tafeln Schokolade verputzen. Als man mich zwang am Tisch zu sitzen, obwohl ich keinen Hunger hatte, tat ich das. Essen konnte ich nichts. Sie berichteten, ich wäre ständig nicht zu Tisch gekommen und hätte mich geweigert zu essen. Ich hätte mich zurückgezogen und letztlich hätte man den Versuch Waisenhaus abbrechen müssen, was man am 02.09.1982 in einer Sitzung beschloss. Am darauffolgenden Tag ging ich nach der Schule nach Hause wo mein Bruder mir eröffnete, dass ich wieder ins Aufnahmeheim müsse. Völlig überrascht ging ich zurück ins Waisenhaus und fragte die Erzieherin. Sie sagte, dass wir nach dem Essen ins Restaurant reden gehen können. Nach 19.00 Uhr, es wurde ruhig in der Gruppe. Die Jungs waren entweder auf ihren Zimmern oder ausser Haus, gingen wir etwas trinken. Man sagte mir, dass ich sechs Mal die Schule geschwänzt hätte und ich damit gegen die Vereinbarung verstossen hätte. Ich sollte über das Wochenende noch nach Hause dürfen und im Verlauf der kommenden Woche überwiesen werden. Als wir so um 21.00 Uhr zurück waren verzog ich mich ins Zimmer, hörte Musik bis ich einschlief. Am nächsten Morgen gegen 10.30 Uhr wurde ich geweckt. Man forderte mich auf ins Büro zu kommen. Dann hiess es, ich sollte meine Sachen packen. Danach brachten mich die beiden Erzieher ins Aufnahmeheim. Im Bericht vom 07.09.1982 zählte man die Symptome eines präsuizidalen Syndroms auf und stützte sich auf Selbst- und Fremdgefährdung und begründete ihren Entschluss damit, dass es zu meinem Schutz geschehen wäre. Diese Diagnose war schon von Anfang an gestellt und mit entsprechenden Verhaltensauffälligkeiten musste man rechnen. Zudem berichtete man, dass die übrigen Jungs mich als "krank im Kopf" bezeichnet hätten und mir deshalb aus dem Weg gingen. Aber im Waisenhaus war man ja sowas von professionell.  Es gab keine Untersuchung, keine Andeutungen meinerseits, was sehr oft, d.h. in 75% aller Fälle vorkommt.  Es musste eine sehr hohe suizidale Gefährdung vorliegen um eine Einsperrung zu rechtfertigen und in jedem Fall im Minimum durch einen Arzt bestätigt werden. Man hätte schon vorher die Kinderpsychiatrie zuziehen können, wäre eine solche Gefährdung im Raum gestanden. Die Kinderpsychiatrie war schon seit Jahren involviert. Einfach so weggesperrt. Am 14.09.1982 erging eine sogenannte Vollzugsverfügung der Vormundschaftsbehörde und verfügte eine vorübergehende Unterbringung im Aufnahmeheim. Dies tat sie im Auftrag des Sozialarbeiters ohne Begründung. Vorübergehend hiess in diesem Fall 3 1/2 Monate. Zuletzt möchte ich noch anmerken, dass die damalige Vereinbarung mit dem Waisenhaus rechtlich wirkungslos war. Als 14-jähriger konnte ich nicht rechtsverbindlich unterschreiben. Das hätten die Eltern müssen. 
Die Rechtslagen und einzelne Originaldokumente kann man hier finden: Fürsorgerische Zwangsmassnahmen

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