Willkürliches Urteil des Verwaltungsgerichts Basel-Stadt Teil 2

Betrifft: Vollzugsverfügung der Vormundschaftsbehörde vom 14.09.1982
Überweisung in eine geschlossene Anstalt, Aufnahmeheim Basel

Mit dem Urteil vom 11.05.2019 entschied das Verwaltungsgericht auf die Beschwerde nicht einzutreten, gab aber dennoch ihre Meinung von sich (schwarzer Text, Kommentar = roter Text).

1.1.2. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die mit Verfügung vom 14.09.1982 angeordnete vorübergehende Unterbringung des Beschwerdeführers im Aufnahmeheim Basel. Die Beschwerde richtet sich  somit gegen eine Verfügung der Vormundschaftsbehörde als Vorgängerin der KESB.

Beschwerden sind innert gesetzlicher Frist zu erheben. Diese ist im Fall der Verfügung der Vormundschaftsbehörde vom 14.09.1982 längst abgelaufen. Mit seiner Beschwerde weist der Beschwerdeführer aber darauf hin, dass die damalige Verfügung eine unvollständige Rechtsmittelbelehrung enthalten habe, da ihr kein Hinweis auf die Rechtsmittelfrist habe entnommen werden können. Aus der mangelhaften Eröffnung dürfe ihm kein Nachteil entstehen. 

Ein Verfügungsadressat darf sich unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben auf eine nicht erkennbare falsche Rechtsmittelbelehrung verlassen. Ob ein bisher untätig gebliebener Verfügungsadressat bei Fehlen eines Hinweises auf eine Rechtsmittelfrist tatsächlich auch nach Jahr und Tag bzw. im vorliegenden Fall nach über 36 Jahren sich noch auf eine fortdauernde Rechtsmittelfrist berufen kann, kann offenbleiben. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, warum ihm nicht erkennbar gewesen sein soll, dass ein Rechtsmittel immer innert einer Frist zu erheben ist, und wieso er aufgrund der fehlenden Angabe in der Rechtsmittelbelehrung während über 36 Jahren daran gehindert gewesen wäre, das Rechtsmittel zu ergreifen. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers kann daher mangels Wahrung der Beschwerdefrist nicht eingetreten werden. 

Kommentar: Ich erwähnte in der Beschwerde, dass ich an die Unterlagen im Rahmen der Einsichtnahme in meine Jugendakte gekommen bin. Als 15-jähriger war ich auch rechtsunkundig. Selbstverständlich konnte man 1982 von einem Jungen nicht erwarten, dass er dies hätte erkennen können. Zudem wurde die Post durch das Heim zensiert und zum Teil auch nicht ausgehändigt.

2.1. In der Sache macht der Beschwerdeführer die Nichtigkeit der streitgegenständlichen Vollzugsführung der damaligen Vormundschaftsbehörde geltend. Nichtigen Verfügungen geht jede Verbindlichkeit und Rechtswirksamkeit ab. Die Nichtigkeit ist jederzeit und von sämtlichen staatlichen Instanzen von Amtes wegen zu beachten. Eine Verfügung ist nichtig, wenn sie einen besonders schweren und offensichtlichen oder zumindest leicht erkennbaren Mangel aufweist und die Nichtigkeit die Rechtssicherheit nicht ernsthaft gefährdet. Inhaltliche Mängel haben nur in seltenen Ausnahmefällen und nur bei ausserordentlicher Schwere Nichtigkeit zur Folge. Als Nichtigkeitsgründe kommen hauptsächlich funktionelle und sachliche Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde sowie krasse Verfahrensfehler in Betracht. 

2.2. Zur Begründung der von ihm geltend gemachten Nichtigkeit der streitgegenständlichen Vollzugsverfügung macht der Beschwerdeführer geltend, dass gegen ihn mit Entscheid der Jugendstrafkammer vom 23.06.1982 eine Massnahme gemäss Art. 84/91 StGB verhängt worden sei. Er sei dabei Im Bürgerlichen Waisenhaus untergebracht worden. Für den Vollzug sei das Jugendamt bzw. Vormundschaftsbehörde gemäss Art. 86bis StGB eingesetzt worden. Eine Unterbringung ausserhalb des Waisenhauses ohne Neubeurteilung durch die Jugendstrafkammer widerspreche diesem Urteil, da mit dem Urteil vom 23.06.1982 dieser Entscheid nicht dem Jugendamt überlassen worden sei.

Damals war ich noch 15-jährig, d.h. im Sinne des Jugendstrafrechts ein Kind. Erst mit 16-jährig konnten Jugendliche, welche in einem Heim nicht tragbar waren in eine Anstalt zur Nacherziehung, Psychiatrie etc. durch die vollziehende Behörde angeordnet bzw. beantragt werden. Bei Kindern nicht. Zu diesem Zeitpunkt greift Art. 91 Ziff. 1 StGB noch nicht.

2.3. Die Hintergründe der mit der streitgegenständlichen Vollzugsverfügung vom 14.09.1982 erfolgten Platzierung des Beschwerdeführers im Aufnahmeheim ergeben sich aus einem Schreiben des Bürgerlichen Waisenhauses vom 07.09.1982. Darin wird ausgeführt, der Wiedereintritt in das Bürgerliche Waisenhaus sei unter klaren Vorbehalten erfolgt, weil man dem Beschwerdeführer die Möglichkeit habe geben wollen, sich in dem von ihm selbst gewählten Rahmen zu bewähren. Bis zu einem Entscheid der Jugendstrafkammer sei es ihm gut gelungen, sich zu bewähren. Danach seien aber Verhaltensänderungen aufgetreten. Er habe begonnen die Schule zu schwänzen und sich in der Gruppe zu isolieren. Dies habe das Waisenhaus zum Schluss geführt, dass er "nur noch bedingt mit pädagogischen Kriterien und Mitteln fassbar und zu behandeln sei". Er sei daher vom Waisenhaus am 04.09.1982 zum Schutz seiner Umgebung und zum Schutz vor sich selber notfallmässig ins Basler Aufnahmeheim umplatziert worden. Die Verhaltensstörungen des sehr unglücklichen jungen Menschen seien wohl nur mit psychiatrisch-therapeutischen Kriterien erfassbar. In der Folge verfügte die Vormundschaftsbehörde mit der streitgegenständlichen Vollzugsverfügung vom 14.09.1982 gestützt auf § 35 JuStG, wegen Abklärung der weiteren Unterbringung die vorübergehende Unterbringung des Beschwerdeführers im Aufnahmeheim.

O.K. Man stellte also den vom Waisenhaus behaupteten Umstand einer "Gefahr in Verzug", wie es in den sachlichen Texte gerne bezeichnet wird. Dabei steht die Möglichkeit einer Selbst- oder Fremdverletzung im Raum. Da hat sich das Waisenhaus etwas vertan, denn gemäss psychiatrischem Gutachten hatte das Waisenhaus schon vor Eintritt ins Waisenhaus davon Kenntnis genommen, dass eine Borderline Symptomatik, verbunden mit präsuizidalem Syndrom diagnostiziert wurde.  Hätte sich dieser Zustand tatsächlich so verschlechtert hätte man z.B. einen Arzt, Psychiater oder ähnliches beiziehen müssen, denn so ein Zustand dauert längere Zeit an, warum man plötzlich dann von einem Tag zum Anderen eine derart drastische Massnahme für erforderlich hielt ist nicht nachvollziehbar. Allenfalls, da es Samstag war, hätte man die vorübergehende Unterbringung in der Psychiatrie einleiten können. Eine andere Möglich wäre bestanden, dass man eine vorsorgliche Massnahme nach § 26 JuStG hätte einleiten können. Dies hätte der Jugendanwalt tun können, wozu später ein Entschluss der Jugendstrafkammer ergehen hätte müssen. Art. 86 bis StGB räumte dem Jugendamt /Vormundschaftsbehörde lediglich die Überwachung der besonderen Massnahme (eine solche musste von der Jugendstrafkammer angeordnet werden, was nicht der Fall war) und der Beobachtung der Erziehung ein. Das psychiatrische Gutachten vom 03.05.1982 äusserte sich zur Unterbringung wie folgt: "Thomas braucht einen pädagogischen Rahmen, in dem er durch konsequente Grenzen Halt findet, innerhalb derer er von Zuwendung profitieren kann. Optimal wäre eine möglichst kleine Gruppe, z.B. zwischen 5 - 10 Jugendlichen, mit einem grossen Betreuungsangebot, und gleichzeitig der Möglichkeit, sich zwischendurch zurückziehen zu können. Solche Bedingungen könnten z.B. in einem Schulheim, im Waisenhaus oder in einer geführten Wohngemeinschaft erfüllt sein. Weiterer Schulbesuch wäre in jedem Fall angezeigt. […] Falls sich kein geeigneter Platz finden sollte, müsste zu einem neuen Zeitpunkt sorgfältig abgewogen werden, ob der Nachteil einer Rückplatzierung in die eigene Familie kombiniert mit Familientherapie evtl. nicht doch kleiner wäre als eine Platzierung ausserhalb der Regio."

§ 35. Das Jugendamt sorgt für die von der zuständigen Behörde angeordnete Schutzaufsicht (Art. 94 Ziff. 1, 95 Ziff. 4 und 96 Ziff. 2 StGB) und für die Durchführung der angeordneten besonderen Behandlung und der Weisungen. Es überwacht in allen Fällen die Erziehung, die besondere Behandlung und die weitere Entwicklung (Art. 86bis Abs. 1).

Eine Schutzaufsicht  bestand nicht. Eine besondere Behandlung gemäss Art. 85 StGB, d.h. bei geistigen Leiden Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt, unterlag der urteilenden Behörde, nicht dem Jugendamt/Vormundschaftsbehörde und wurde auch nicht verfügt. So blieb noch die Überwachung der Erziehung und weiteren Entwicklung. Der Vollzug wird in § 37 JuStG geregelt und obliegt dem Jugendamt. Solange ein Urteil nach Art. 84 StGB, also eine Massnahme eines Kindes besteht stehen dem Jugendamt keine weiteren Möglichkeiten offen. Das ändert sich ab dem 16. Altersjahr des Jugendlichen. § 36 JuStG / Art. 86 Abs.1 StGB regelte die Zuständigkeit einer Massnahmenänderung und eine solche wurde vom Jugendamt vorgenommen. Vorsorgliche Massnahmen hätten vom Jugendanwalt veranlasst werden können, nicht aber wenn schon eine Massnahme in Kraft war. Es war die Jugendstrafkammer zuständig. Das Verwaltungsgericht dementiert dies ohne Begründung. 

2.4. Gemäss § 35 Abs. 1 des damaligen Gesetzes über die Jugendstrafrechtspflege sorgte das Jugendamt als Abteilung der Vormundschaftsbehörde im Rahmen des Vollzugs einer jugendstrafrechtlichen Massnahme für die Durchführung der angeordneten besonderen Behandlung und der Weisungen und überwacht in allen Fällen die Erziehung, die besondere Behandlung und die weitere Entwicklung. Gemäss Abs. 2 der genannten Bestimmung berichtete das Jugendamt über das Verhalten des Jugendlichen an die Behörde, die über weitere Massnahmen zu entscheiden hatte, stellte ihr seine Anträge und traf die nötigen vorläufigen Anordnungen. Diese Kompetenz zur vorläufigen Anordnung nötiger Massnahmen nahm die Vormundschaftsbehörde mit der streitgegenständlichen Verfügung vom 14.09.1982 wahr. Sie handelte daher entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers im Rahmen ihrer Kompetenz. 

2.5. Daraus folgt, dass entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit der streitgegenständlichen Verfügung der Vormundschaftsbehörde vom 14.09.1982 bestehen. Selbst wenn auf die Beschwerde hätte eingetreten werden können, hätte sie mithin abgewiesen werden müssen.

 Die erwähnten Anträge und das daraus folgende Handeln entbehrt jeglicher Verständlichkeit. Das heisst es gibt weder  in den Akten noch in der damaligen Gesetzgebung einen Anhaltspunkte dafür.  Eine besondere Behandlung musste von der Jugendstrafkammer gemäss §85 StGB angeordnet werden. Dabei handelte es sich um eine Unterbringung wegen psychische Störungen, welche gemäss § 7 JuStG eine Unterbringung in der Psychiatrischen Klinik erforderlich machte. Eine besondere Behandlung war weder vom Psychiater empfohlen noch gerichtlich angeordnet.

§ 35 Abs. 1 gilt bei Kindern nur für Art. 86bis Abs. 1 StGB). Alle übrigen Massnahmen, nach § 35 Abs. 2 JuStG, welche der vollziehenden Behörde zur Verfügung standen setzten ein Mindestalter von 16 Jahren voraus und setzte eine Massnahme gemäss Art. 91 Ziff. 1 StGB voraus. Eine Einschliessung war - ohne Haftbefehl - für maximal einen Monat gestattet (für Jugendliche). § 31 a-h JuStG regelte die Zuständigkeit der Jugendstrafkammer als 3er Gericht und § 31 i - p JuStG regelte die Zuständigkeit des Präsidenten der Jugendstrafkammer.

Willkürliches Urteil des Verwaltungsgerichts Basel, Teil 1

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