Erinnerungen ans Aufnahmeheim Teil 2

Es erging, wie bereits im Teil eins am Schluss erwähnt, eine Verfügung der Vormundschaftsbehörde auf Antrag des Sozialarbeiters. Dieser forderte zuerst eine Verfügung auszufertigen, welche eine Unterbringung auf Begehren der Eltern beinhalten sollte, gemäss §§ 35/43 VBG, wie dies bereits bei der Einweisung ins Schulheim geschah. Nicht viel intelligenter stützt sich das Amt auf § 35 JuStG, welches nur in jenem Teil, welcher mit Art. 86bis StGB konform geht, denn Art. 86bis Abs. 2 ordnete die Kompetenz bei über 16-jährigen. Als 15-jähriger unterlag ich diesem Altersschutz. Eine Einschliessung, wie hier durchgeführt musste der Jugendanwalt anweisen. Dazu hätte eine neue Straftat vorliegen müssen. Für eine Massnahmenänderung kam nur die urteilende Behörde (Gericht) in Frage. 

Nun kam ich am 14.09.1982  wieder ins Aufnahmeheim. In dieser Zeit änderten sich drei Dinge. Es gab eine neue Eingangs- und Hoftür. Bisher aus Holz mit Gittern, neu Stahltüren mit Panzerglas. Nachts durfte man nicht mehr klingeln um auf die Toilette zu gehen. Man bekam einen Putzeimer ohne Deckel und ohne Toilettenpapier. Zustände wie in der Nachkriegszeit. Mir sagte man dann, dass ich auch arbeiten müsse und nicht mehr in die Schule könne. Eigentlich wäre ich aber immer noch schulpflichtig gewesen, bis im Frühling 1983. So musste ich jeden Tag acht Stunden im Keller Industriestecker zusammenschrauben. Der Sozialarbeiter war überhaupt nicht damit beschäftigt eine anderen Unterbringungsort zu suchen. Man liess mich einfach eingesperrt. Zeitweise war ich einziger Insasse, dann waren wir zu zweit oder zu dritt und plötzlich war das Haus wieder randvoll und es kam zu Übergriffen. Meine Eltern kamen mich regelmässig besuchen. Nach einem Monat Aufenthalt stellte ich Antrag aus dem Aufnahmeheim entlassen zu werden. Der Heimleiter riet mir dazu und unterstützte mich beim Formulieren. Eine Woche später taten meine Eltern dasselbe. Erst musste man wieder eine psychiatrische Abklärung vornehmen. Auch das Aufnahmeheim und die Kinderpsychiatrie fühlten sich von den Behörden missbraucht. Ich musste noch weitere zwei Monate verweilen, bis ich am 23.12.1982 provisorisch unter Anordnung einer Erziehungshilfe und erteilen von Weisungen, nach dem Gesetz für über 16-jährige nach Hause entlassen wurde. Weisungen konnten erst dann angeordnet werden. 

siehe Auch: 
Erinnerungen ans Aufnahmeheim, Teil 1

Fürsorgerische Freiheitsentziehung








Willkürliches Urteil des Verwaltungsgerichts Basel-Stadt Teil 2

Betrifft: Vollzugsverfügung der Vormundschaftsbehörde vom 14.09.1982
Überweisung in eine geschlossene Anstalt, Aufnahmeheim Basel

Mit dem Urteil vom 11.05.2019 entschied das Verwaltungsgericht auf die Beschwerde nicht einzutreten, gab aber dennoch ihre Meinung von sich (schwarzer Text, Kommentar = roter Text).

1.1.2. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die mit Verfügung vom 14.09.1982 angeordnete vorübergehende Unterbringung des Beschwerdeführers im Aufnahmeheim Basel. Die Beschwerde richtet sich  somit gegen eine Verfügung der Vormundschaftsbehörde als Vorgängerin der KESB.

Beschwerden sind innert gesetzlicher Frist zu erheben. Diese ist im Fall der Verfügung der Vormundschaftsbehörde vom 14.09.1982 längst abgelaufen. Mit seiner Beschwerde weist der Beschwerdeführer aber darauf hin, dass die damalige Verfügung eine unvollständige Rechtsmittelbelehrung enthalten habe, da ihr kein Hinweis auf die Rechtsmittelfrist habe entnommen werden können. Aus der mangelhaften Eröffnung dürfe ihm kein Nachteil entstehen. 

Ein Verfügungsadressat darf sich unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben auf eine nicht erkennbare falsche Rechtsmittelbelehrung verlassen. Ob ein bisher untätig gebliebener Verfügungsadressat bei Fehlen eines Hinweises auf eine Rechtsmittelfrist tatsächlich auch nach Jahr und Tag bzw. im vorliegenden Fall nach über 36 Jahren sich noch auf eine fortdauernde Rechtsmittelfrist berufen kann, kann offenbleiben. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, warum ihm nicht erkennbar gewesen sein soll, dass ein Rechtsmittel immer innert einer Frist zu erheben ist, und wieso er aufgrund der fehlenden Angabe in der Rechtsmittelbelehrung während über 36 Jahren daran gehindert gewesen wäre, das Rechtsmittel zu ergreifen. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers kann daher mangels Wahrung der Beschwerdefrist nicht eingetreten werden. 

Kommentar: Ich erwähnte in der Beschwerde, dass ich an die Unterlagen im Rahmen der Einsichtnahme in meine Jugendakte gekommen bin. Als 15-jähriger war ich auch rechtsunkundig. Selbstverständlich konnte man 1982 von einem Jungen nicht erwarten, dass er dies hätte erkennen können. Zudem wurde die Post durch das Heim zensiert und zum Teil auch nicht ausgehändigt.

2.1. In der Sache macht der Beschwerdeführer die Nichtigkeit der streitgegenständlichen Vollzugsführung der damaligen Vormundschaftsbehörde geltend. Nichtigen Verfügungen geht jede Verbindlichkeit und Rechtswirksamkeit ab. Die Nichtigkeit ist jederzeit und von sämtlichen staatlichen Instanzen von Amtes wegen zu beachten. Eine Verfügung ist nichtig, wenn sie einen besonders schweren und offensichtlichen oder zumindest leicht erkennbaren Mangel aufweist und die Nichtigkeit die Rechtssicherheit nicht ernsthaft gefährdet. Inhaltliche Mängel haben nur in seltenen Ausnahmefällen und nur bei ausserordentlicher Schwere Nichtigkeit zur Folge. Als Nichtigkeitsgründe kommen hauptsächlich funktionelle und sachliche Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde sowie krasse Verfahrensfehler in Betracht. 

2.2. Zur Begründung der von ihm geltend gemachten Nichtigkeit der streitgegenständlichen Vollzugsverfügung macht der Beschwerdeführer geltend, dass gegen ihn mit Entscheid der Jugendstrafkammer vom 23.06.1982 eine Massnahme gemäss Art. 84/91 StGB verhängt worden sei. Er sei dabei Im Bürgerlichen Waisenhaus untergebracht worden. Für den Vollzug sei das Jugendamt bzw. Vormundschaftsbehörde gemäss Art. 86bis StGB eingesetzt worden. Eine Unterbringung ausserhalb des Waisenhauses ohne Neubeurteilung durch die Jugendstrafkammer widerspreche diesem Urteil, da mit dem Urteil vom 23.06.1982 dieser Entscheid nicht dem Jugendamt überlassen worden sei.

Damals war ich noch 15-jährig, d.h. im Sinne des Jugendstrafrechts ein Kind. Erst mit 16-jährig konnten Jugendliche, welche in einem Heim nicht tragbar waren in eine Anstalt zur Nacherziehung, Psychiatrie etc. durch die vollziehende Behörde angeordnet bzw. beantragt werden. Bei Kindern nicht. Zu diesem Zeitpunkt greift Art. 91 Ziff. 1 StGB noch nicht.

2.3. Die Hintergründe der mit der streitgegenständlichen Vollzugsverfügung vom 14.09.1982 erfolgten Platzierung des Beschwerdeführers im Aufnahmeheim ergeben sich aus einem Schreiben des Bürgerlichen Waisenhauses vom 07.09.1982. Darin wird ausgeführt, der Wiedereintritt in das Bürgerliche Waisenhaus sei unter klaren Vorbehalten erfolgt, weil man dem Beschwerdeführer die Möglichkeit habe geben wollen, sich in dem von ihm selbst gewählten Rahmen zu bewähren. Bis zu einem Entscheid der Jugendstrafkammer sei es ihm gut gelungen, sich zu bewähren. Danach seien aber Verhaltensänderungen aufgetreten. Er habe begonnen die Schule zu schwänzen und sich in der Gruppe zu isolieren. Dies habe das Waisenhaus zum Schluss geführt, dass er "nur noch bedingt mit pädagogischen Kriterien und Mitteln fassbar und zu behandeln sei". Er sei daher vom Waisenhaus am 04.09.1982 zum Schutz seiner Umgebung und zum Schutz vor sich selber notfallmässig ins Basler Aufnahmeheim umplatziert worden. Die Verhaltensstörungen des sehr unglücklichen jungen Menschen seien wohl nur mit psychiatrisch-therapeutischen Kriterien erfassbar. In der Folge verfügte die Vormundschaftsbehörde mit der streitgegenständlichen Vollzugsverfügung vom 14.09.1982 gestützt auf § 35 JuStG, wegen Abklärung der weiteren Unterbringung die vorübergehende Unterbringung des Beschwerdeführers im Aufnahmeheim.

O.K. Man stellte also den vom Waisenhaus behaupteten Umstand einer "Gefahr in Verzug", wie es in den sachlichen Texte gerne bezeichnet wird. Dabei steht die Möglichkeit einer Selbst- oder Fremdverletzung im Raum. Da hat sich das Waisenhaus etwas vertan, denn gemäss psychiatrischem Gutachten hatte das Waisenhaus schon vor Eintritt ins Waisenhaus davon Kenntnis genommen, dass eine Borderline Symptomatik, verbunden mit präsuizidalem Syndrom diagnostiziert wurde.  Hätte sich dieser Zustand tatsächlich so verschlechtert hätte man z.B. einen Arzt, Psychiater oder ähnliches beiziehen müssen, denn so ein Zustand dauert längere Zeit an, warum man plötzlich dann von einem Tag zum Anderen eine derart drastische Massnahme für erforderlich hielt ist nicht nachvollziehbar. Allenfalls, da es Samstag war, hätte man die vorübergehende Unterbringung in der Psychiatrie einleiten können. Eine andere Möglich wäre bestanden, dass man eine vorsorgliche Massnahme nach § 26 JuStG hätte einleiten können. Dies hätte der Jugendanwalt tun können, wozu später ein Entschluss der Jugendstrafkammer ergehen hätte müssen. Art. 86 bis StGB räumte dem Jugendamt /Vormundschaftsbehörde lediglich die Überwachung der besonderen Massnahme (eine solche musste von der Jugendstrafkammer angeordnet werden, was nicht der Fall war) und der Beobachtung der Erziehung ein. Das psychiatrische Gutachten vom 03.05.1982 äusserte sich zur Unterbringung wie folgt: "Thomas braucht einen pädagogischen Rahmen, in dem er durch konsequente Grenzen Halt findet, innerhalb derer er von Zuwendung profitieren kann. Optimal wäre eine möglichst kleine Gruppe, z.B. zwischen 5 - 10 Jugendlichen, mit einem grossen Betreuungsangebot, und gleichzeitig der Möglichkeit, sich zwischendurch zurückziehen zu können. Solche Bedingungen könnten z.B. in einem Schulheim, im Waisenhaus oder in einer geführten Wohngemeinschaft erfüllt sein. Weiterer Schulbesuch wäre in jedem Fall angezeigt. […] Falls sich kein geeigneter Platz finden sollte, müsste zu einem neuen Zeitpunkt sorgfältig abgewogen werden, ob der Nachteil einer Rückplatzierung in die eigene Familie kombiniert mit Familientherapie evtl. nicht doch kleiner wäre als eine Platzierung ausserhalb der Regio."

§ 35. Das Jugendamt sorgt für die von der zuständigen Behörde angeordnete Schutzaufsicht (Art. 94 Ziff. 1, 95 Ziff. 4 und 96 Ziff. 2 StGB) und für die Durchführung der angeordneten besonderen Behandlung und der Weisungen. Es überwacht in allen Fällen die Erziehung, die besondere Behandlung und die weitere Entwicklung (Art. 86bis Abs. 1).

Eine Schutzaufsicht  bestand nicht. Eine besondere Behandlung gemäss Art. 85 StGB, d.h. bei geistigen Leiden Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt, unterlag der urteilenden Behörde, nicht dem Jugendamt/Vormundschaftsbehörde und wurde auch nicht verfügt. So blieb noch die Überwachung der Erziehung und weiteren Entwicklung. Der Vollzug wird in § 37 JuStG geregelt und obliegt dem Jugendamt. Solange ein Urteil nach Art. 84 StGB, also eine Massnahme eines Kindes besteht stehen dem Jugendamt keine weiteren Möglichkeiten offen. Das ändert sich ab dem 16. Altersjahr des Jugendlichen. § 36 JuStG / Art. 86 Abs.1 StGB regelte die Zuständigkeit einer Massnahmenänderung und eine solche wurde vom Jugendamt vorgenommen. Vorsorgliche Massnahmen hätten vom Jugendanwalt veranlasst werden können, nicht aber wenn schon eine Massnahme in Kraft war. Es war die Jugendstrafkammer zuständig. Das Verwaltungsgericht dementiert dies ohne Begründung. 

2.4. Gemäss § 35 Abs. 1 des damaligen Gesetzes über die Jugendstrafrechtspflege sorgte das Jugendamt als Abteilung der Vormundschaftsbehörde im Rahmen des Vollzugs einer jugendstrafrechtlichen Massnahme für die Durchführung der angeordneten besonderen Behandlung und der Weisungen und überwacht in allen Fällen die Erziehung, die besondere Behandlung und die weitere Entwicklung. Gemäss Abs. 2 der genannten Bestimmung berichtete das Jugendamt über das Verhalten des Jugendlichen an die Behörde, die über weitere Massnahmen zu entscheiden hatte, stellte ihr seine Anträge und traf die nötigen vorläufigen Anordnungen. Diese Kompetenz zur vorläufigen Anordnung nötiger Massnahmen nahm die Vormundschaftsbehörde mit der streitgegenständlichen Verfügung vom 14.09.1982 wahr. Sie handelte daher entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers im Rahmen ihrer Kompetenz. 

2.5. Daraus folgt, dass entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit der streitgegenständlichen Verfügung der Vormundschaftsbehörde vom 14.09.1982 bestehen. Selbst wenn auf die Beschwerde hätte eingetreten werden können, hätte sie mithin abgewiesen werden müssen.

 Die erwähnten Anträge und das daraus folgende Handeln entbehrt jeglicher Verständlichkeit. Das heisst es gibt weder  in den Akten noch in der damaligen Gesetzgebung einen Anhaltspunkte dafür.  Eine besondere Behandlung musste von der Jugendstrafkammer gemäss §85 StGB angeordnet werden. Dabei handelte es sich um eine Unterbringung wegen psychische Störungen, welche gemäss § 7 JuStG eine Unterbringung in der Psychiatrischen Klinik erforderlich machte. Eine besondere Behandlung war weder vom Psychiater empfohlen noch gerichtlich angeordnet.

§ 35 Abs. 1 gilt bei Kindern nur für Art. 86bis Abs. 1 StGB). Alle übrigen Massnahmen, nach § 35 Abs. 2 JuStG, welche der vollziehenden Behörde zur Verfügung standen setzten ein Mindestalter von 16 Jahren voraus und setzte eine Massnahme gemäss Art. 91 Ziff. 1 StGB voraus. Eine Einschliessung war - ohne Haftbefehl - für maximal einen Monat gestattet (für Jugendliche). § 31 a-h JuStG regelte die Zuständigkeit der Jugendstrafkammer als 3er Gericht und § 31 i - p JuStG regelte die Zuständigkeit des Präsidenten der Jugendstrafkammer.

Willkürliches Urteil des Verwaltungsgerichts Basel, Teil 1

Erfahrungen in der Lehrlingsgruppe des Waisenhauses Basel

Gestützt auf die vorsorgliche Massnahme, welche der Jugendanwalt beantragte, wurde ich am 19.05.1982 ins Bürgerliche Waisenhaus Basel versetzt. Zuvor hatte ich vier Bedingungen zu akzeptieren und zu unterzeichnen, nämlich: regelmässiger Schulbesuch, Einhalten der Hausordnung, Regelmässige Teilnahme an der Familientherapie und keine Briefe intern zu schreiben bzw. weiter zu geben. Man stellte klar, dass kein spezieller therapeutischer Rahmen geboten werde und die Hausordnung und Normen gleichermassen gelten und an 18-19-jährige angepasst waren. Ich war immer noch 14-jährig.  Man kannte das Gutachten und die Diagnosen: Borderline Symptomatik und präsuizidales Syndrom, wobei letzteres erst durch die Heimplatzierungen auftauchte, d.h. bei den Eltern gab es dieses Syndrom nicht. Man wusste also von Anfang an mit wem man es zu tun hatte. Die ersten knapp fünf Wochen ging es so einigermassen gut. Bis auf die zwei 17-jährigen Jungs waren alle 18 oder gar 19 Jahre alt. Ich hatte nichts mit denen zu tun und sie nichts mit mir. Ich sah nie ein, warum ich mich zwingen lassen musste mich mit älteren Jungs zu unterhalten, wenn ich das nicht mochte. Zudem waren die Interessen grundverschieden. Bei den beiden 17-jährigen kam ein kollegiales Verhältnis zu Stande, bei den anderen nicht. Wie konnte man sowas erzwingen wollen. Ich hatte meine Kollegen in der Schule. Einige meiner ehemaligen Klassenkameraden gingen ins gleiche Schulhaus, diese kannte ich schon seit Jahren. Nach der Hauptverhandlung wurde die Massnahme, Unterbringung im Waisenhaus bestätigt. Bereits eine Woche später schrieb das Waisenhaus an den Sozialarbeiter, dass ich die vergangene Woche vier Mal die Schule geschwänzt hätte, was schlicht nicht stimmt. Ja ich hatte einmal geschwänzt. Dann hatten wir 6 Wochen Ferien bis zum 16. August, welche ich zuhause verbrachte.  Zuhause lief alles problemlos, zeitweise fuhren wir ins Ausland für ein paar Wochen. Als ich zurück ins Waisenhaus kam ging es ähnlich weiter, ich spürte allerdings, dass mir gewissen Jungs aus dem Weg gingen, was automatisch dazu führte, dass ich auch so handelte. Zwei oder dreimal kam ich nicht zum Mittagessen. Nein, ich ging nicht nach Hause essen, wie es das Waisenhaus in ihrem Bericht behauptet. Dies geht auch aus einer Aktennotiz der Kinderpsychiatrie hervor. Ich war damals ein Süssigkeitsfanatiker, konnte locker 2 Tafeln Schokolade verputzen. Als man mich zwang am Tisch zu sitzen, obwohl ich keinen Hunger hatte, tat ich das. Essen konnte ich nichts. Sie berichteten, ich wäre ständig nicht zu Tisch gekommen und hätte mich geweigert zu essen. Ich hätte mich zurückgezogen und letztlich hätte man den Versuch Waisenhaus abbrechen müssen, was man am 02.09.1982 in einer Sitzung beschloss. Am darauffolgenden Tag ging ich nach der Schule nach Hause wo mein Bruder mir eröffnete, dass ich wieder ins Aufnahmeheim müsse. Völlig überrascht ging ich zurück ins Waisenhaus und fragte die Erzieherin. Sie sagte, dass wir nach dem Essen ins Restaurant reden gehen können. Nach 19.00 Uhr, es wurde ruhig in der Gruppe. Die Jungs waren entweder auf ihren Zimmern oder ausser Haus, gingen wir etwas trinken. Man sagte mir, dass ich sechs Mal die Schule geschwänzt hätte und ich damit gegen die Vereinbarung verstossen hätte. Ich sollte über das Wochenende noch nach Hause dürfen und im Verlauf der kommenden Woche überwiesen werden. Als wir so um 21.00 Uhr zurück waren verzog ich mich ins Zimmer, hörte Musik bis ich einschlief. Am nächsten Morgen gegen 10.30 Uhr wurde ich geweckt. Man forderte mich auf ins Büro zu kommen. Dann hiess es, ich sollte meine Sachen packen. Danach brachten mich die beiden Erzieher ins Aufnahmeheim. Im Bericht vom 07.09.1982 zählte man die Symptome eines präsuizidalen Syndroms auf und stützte sich auf Selbst- und Fremdgefährdung und begründete ihren Entschluss damit, dass es zu meinem Schutz geschehen wäre. Diese Diagnose war schon von Anfang an gestellt und mit entsprechenden Verhaltensauffälligkeiten musste man rechnen. Zudem berichtete man, dass die übrigen Jungs mich als "krank im Kopf" bezeichnet hätten und mir deshalb aus dem Weg gingen. Aber im Waisenhaus war man ja sowas von professionell.  Es gab keine Untersuchung, keine Andeutungen meinerseits, was sehr oft, d.h. in 75% aller Fälle vorkommt.  Es musste eine sehr hohe suizidale Gefährdung vorliegen um eine Einsperrung zu rechtfertigen und in jedem Fall im Minimum durch einen Arzt bestätigt werden. Man hätte schon vorher die Kinderpsychiatrie zuziehen können, wäre eine solche Gefährdung im Raum gestanden. Die Kinderpsychiatrie war schon seit Jahren involviert. Einfach so weggesperrt. Am 14.09.1982 erging eine sogenannte Vollzugsverfügung der Vormundschaftsbehörde und verfügte eine vorübergehende Unterbringung im Aufnahmeheim. Dies tat sie im Auftrag des Sozialarbeiters ohne Begründung. Vorübergehend hiess in diesem Fall 3 1/2 Monate. Zuletzt möchte ich noch anmerken, dass die damalige Vereinbarung mit dem Waisenhaus rechtlich wirkungslos war. Als 14-jähriger konnte ich nicht rechtsverbindlich unterschreiben. Das hätten die Eltern müssen. 
Die Rechtslagen und einzelne Originaldokumente kann man hier finden: Fürsorgerische Zwangsmassnahmen

Erinnerungen ans Aufnahmeheim Basel Teil 1

Nachdem man mich widerrechtlich, gegen meinen Willen und gegen die Empfehlung der Kinderpsychiatrie, im Schulheim Klosterfiechten untergebracht hatte und ich nach einem Streit mit dem Heimleiter unter massiver psychischer Last (wie es die Kinderpsychiatrie voraussagte) ein kleines Feuer entfachte, welches weder fähig war jemanden zu verletzen noch grösseren Schaden zu verursachen, wurde ich am 07.01.1982, 14-jährig im Aufnahmeheim Basel eingesperrt. Der Jugendanwalt erliess eine Wegnahmeverfügung (Haftbefehl) für drei Wochen. Bei meinem Eintritt war ich wie in Trance. Meine Umgebung empfand ich als unwirklich. Zuerst musste ich unter Beobachtung duschen, dann wurde ich in eine cirka 7 m2 grosse Zelle eingesperrt. Es gab ein Bett, einen Einbauschrank, einen Tisch und einen Stuhl sowie ein Lavabo, vergitterte Fenster und eine Tür ohne Klinke. Das Licht war in die Wand eingemauert und nur von aussen bedienbar. Man gab mir einen Schreibblock und einen Stift. Ich sollte meinen Lebenslauf niederschreiben. Ich war bedrückt. Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke fühlt es sich an als läge ein Stein auf meiner Brust, welcher mir das freie Atmen nimmt. Um 7.00 Uhr morgens wurden die Zellen, welche wir Logen nannten, aufgeschlossen. In der Eingangshalle warteten wir bis es Frühstück gab. Danach wurden für die Raucher die Zigaretten verteilt. Jeder bekam 15 Stück. Für die Nichtraucher gab es entweder eine Tafel Schokolade oder CHF 1.50 pro Tag. Es blieb dann Zeit für eine oder zwei Zigaretten, dann ging man entweder in den Keller arbeiten oder im Obergeschoss in die "Schule". Ich war Schulpflichtig also ging ich in die Schule. Das Klassenzimmer war in der ehemaligen Wohnung des Heimleiters, im Wohnzimmer. Es gab einen Kamin. Es war kein konventioneller Unterricht. Man wurde irgendwie beschäftigt. Am Nachmittag mussten auch die Schüler im Keller arbeiten. D.h. je nachdem musste man Industriestecker verschrauben, oder Tischlampen mit dem Kabel verbinden, also einfach ausgedrückt, stupide Fliessbandarbeit. Schon in der ersten Woche besuchte mich ein Psychiater, welcher vom Jugendanwalt beauftragt wurde ein Gutachten zu erstellen. Ich mochte ihn von Anfang an nicht. Er war genau dieser Typ Mensch wie es der Sozialarbeiter war oder der Leiter des Jugendamtes. Kinder- und Jugendfeindlich. Genau jene Typen, welche aus Opfer Täter machen. Die Opfereigenschaft wollen sie nicht sehen, dafür aber die Tätereigenschaft umso mehr. 
Damals hatte ich Angst, dass ich - wie mir der Sozialarbeiter androhte - in einer psychiatrischen Beobachtungsstation oder einem geschlossenen Heim für längere Zeit untergebracht werden würde. Im ersten Gespräch mit dem Psychiater sagte ich dann dümmlicher Weise, dass ich mich, falls ich nicht zurück ins Schulheim könne genauso gut umbringen könne. Und schon war ich auf der geschlossenen Abteilung der Erwachsenenpsychiatrie untergebracht. Mit massiv überdosierten ruhigstellenden Medikamente wurde ich dort zwei Wochen ruhiggestellt. Ich durfte keine Kleider tragen und die Bettenstation nicht verlassen. Es gab keine Zeitungen, kein Radio, kein Fernsehen. Nur mich, Alkoholiker und Drogenabhängige auf Entzug, einen Mörder und zwei Aidspatienten. Der ideale Ort für einen 14-jährigen, zweifellos. Die Medikamente wurden mir weiterhin, also auch im Aufnahmeheim, verabreicht. Ich erhielt eine Dosis, welche eigentlich nur in stationärer Behandlung (150 mg) und unter Bettruhe (90 mg) abgegeben werden dürfte. Ich erhielt 200 mg Taractan. Üblich wären bis ca. 70 mg für mein Körpergewicht üblich gewesen.
Auszug aus dem Bericht der Psychiatrie
Der Heimleiter holte mich dann in der Psychiatrie ab und brachte mich zurück ins Aufnahmeheim.  Die Tage vergingen für mich gefühls- und teilnahmslos vorüber. Von 21.00 - 7.00 Uhr verbrachte man in der Loge. Nach dem Mittagessen wurde man (ich kann mich nicht mehr erinnern) zeitweise eingesperrt oder täglich (???), weil diese Supervision hatten. Man durfte dann aber zu zweit in eine Zelle. Samstags ging man am Nachmittag für einige Stunden spazieren oder in die Sporthalle.  Die meisten Jungs waren einige Tage, ein paar Wochen, vielleicht auch ein bis zwei Monate dort. Bei den Älteren stand sehr oft der Eintritt in eine Arbeitserziehungsanstalt bevor. Es waren nicht wenige Jungs, welche nach Uitikon oder Kalchrain mussten. Damals kamen viele Jungs aus der ganzen Schweiz, weil das Aufnahmeheim Basel neben dem Platanenhof in St. Gallen einzige solche Anstalt war, welche 13 - 18-jährige vor der Untersuchungshaft im Gefängnis bewahrte. Ich kann es nicht sagen, aber es waren sicher an die 100 Jugendliche die ich kommen und gehen sah. Die meisten hatten schon einiges angestellt, wurden schnell handgreiflich, klauten wiederholt Autos begannen Diebstähle oder brachen ein etc. Jemand wie ich, der drei Fenstervorhänge anzündete, welche umgehend gelöscht werden konnten, traf ich keine an. Bei meiner Google suche über jugendliche Brandstifter wurden praktisch alle nach dem Verhör wieder zu den Eltern entlassen. Die meisten erhielten, auch bei Wiederholung nur Sozialstunden auferlegt. Selbst bei Schadensummen in zweistelliger Millionenhöhe. 


Die Gemeinschaftsduschen waren im Keller, am Ende eines langen Ganges. Darüber lag die Wäscherei. Dort fanden die meisten Übergriffe statt, ob mit sexueller oder körperlicher Gewalt. Es ging meist um die Rangordnung. Die älteren versuchten über die jüngeren zu bestimmen. Ich bestand bald darauf alleine duschen zu dürfen, was mir gestattet wurde. Dadurch, dass mir meine Eltern jede Woche Zigaretten einschmuggelten konnte ich mir Probleme mit anderen Jugendlichen weitgehendst vom Hals halten. So konnte ich mich meist irgendwie freikaufen. Darüber hinaus brachten sie mir tonnenweise Süssigkeiten womit ich zusätzlich punkten konnte. Dadurch, dass ich solange im Aufnahmeheim einsass blieb ich dennoch nicht immer verschont. Es gab einen Tischtennistisch und ein Tischfussballtisch. Wenn also das Haus voll war gab es da immer Handgreiflichkeiten. Die Stärkeren konnten spielen, die schwächeren zusehen. Von Seiten der Erzieher waren es nur die Männer, welche Handgreiflich wurden. Es kam nicht regelmässig vor, wie Jahre zuvor, aber war trotzdem Bestandteil. Ich kann mich gut erinnern wie ein 13-jähriger sich wehrte, als er eingeliefert wurde. Der flippte völlig aus. Ein Muskelpaket von einem Erzieher, welcher Kampfsport betrieb, verprügelte ihn brutal. Ein weiteres Mal war es derselbe Erzieher, der eine Schlägerei mit einem Jungen hatte, welcher dann die steinerne Kellertreppe hinunterfiel und sich verletzte. Ich selbst bekam vor allem bei während diesem Aufenthalt mehrfach von einem älteren Erzieher Ohrfeigen. Er genoss es auch die Jungs zu demütigen und zu verspotten. Noch bevor ich entlassen wurde, wurde er pensioniert. Von einem anderen Erzieher wurde ich nur einmal, aber mit voller Wucht, in den Magen geboxt. So vergingen die Wochen und Monate, bis ich mit einer vorsorglichen Massnahme, nach über vier Monaten im Aufnahmeheim, ins Waisenhaus in die Lehrlingsgruppe versetzt wurde. Damals hiess es, dass bis dahin noch nie jemand so lange im Aufnahmeheim verbracht hatte.
Ausschnitt Urteil vom 23. Juni 1982


Wie es mir dort erging  erzähle ich in einem separaten Post. Der Link wird dann hier erscheinen.

Meine Aufarbeitung anhand der damaligen Rechtslage schildere ich hier:

Fürsorgerische Zwangsmassnahmen

Weitere Artikel zum Aufnahmeheim Basel

Artikel BaZ von 2012. Interview mit drei Insassen des Aufnahmeheims Basel

Ein weiterer Bericht eines jugendlichen im Aufnahmeheim von 2008 

Ein Sozialarbeiter im Aufnahmeheim erzählt von 2008