Erinnerungen ans Aufnahmeheim Basel Teil 1

Nachdem man mich widerrechtlich, gegen meinen Willen und gegen die Empfehlung der Kinderpsychiatrie, im Schulheim Klosterfiechten untergebracht hatte und ich nach einem Streit mit dem Heimleiter unter massiver psychischer Last (wie es die Kinderpsychiatrie voraussagte) ein kleines Feuer entfachte, welches weder fähig war jemanden zu verletzen noch grösseren Schaden zu verursachen, wurde ich am 07.01.1982, 14-jährig im Aufnahmeheim Basel eingesperrt. Der Jugendanwalt erliess eine Wegnahmeverfügung (Haftbefehl) für drei Wochen. Bei meinem Eintritt war ich wie in Trance. Meine Umgebung empfand ich als unwirklich. Zuerst musste ich unter Beobachtung duschen, dann wurde ich in eine cirka 7 m2 grosse Zelle eingesperrt. Es gab ein Bett, einen Einbauschrank, einen Tisch und einen Stuhl sowie ein Lavabo, vergitterte Fenster und eine Tür ohne Klinke. Das Licht war in die Wand eingemauert und nur von aussen bedienbar. Man gab mir einen Schreibblock und einen Stift. Ich sollte meinen Lebenslauf niederschreiben. Ich war bedrückt. Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke fühlt es sich an als läge ein Stein auf meiner Brust, welcher mir das freie Atmen nimmt. Um 7.00 Uhr morgens wurden die Zellen, welche wir Logen nannten, aufgeschlossen. In der Eingangshalle warteten wir bis es Frühstück gab. Danach wurden für die Raucher die Zigaretten verteilt. Jeder bekam 15 Stück. Für die Nichtraucher gab es entweder eine Tafel Schokolade oder CHF 1.50 pro Tag. Es blieb dann Zeit für eine oder zwei Zigaretten, dann ging man entweder in den Keller arbeiten oder im Obergeschoss in die "Schule". Ich war Schulpflichtig also ging ich in die Schule. Das Klassenzimmer war in der ehemaligen Wohnung des Heimleiters, im Wohnzimmer. Es gab einen Kamin. Es war kein konventioneller Unterricht. Man wurde irgendwie beschäftigt. Am Nachmittag mussten auch die Schüler im Keller arbeiten. D.h. je nachdem musste man Industriestecker verschrauben, oder Tischlampen mit dem Kabel verbinden, also einfach ausgedrückt, stupide Fliessbandarbeit. Schon in der ersten Woche besuchte mich ein Psychiater, welcher vom Jugendanwalt beauftragt wurde ein Gutachten zu erstellen. Ich mochte ihn von Anfang an nicht. Er war genau dieser Typ Mensch wie es der Sozialarbeiter war oder der Leiter des Jugendamtes. Kinder- und Jugendfeindlich. Genau jene Typen, welche aus Opfer Täter machen. Die Opfereigenschaft wollen sie nicht sehen, dafür aber die Tätereigenschaft umso mehr. 
Damals hatte ich Angst, dass ich - wie mir der Sozialarbeiter androhte - in einer psychiatrischen Beobachtungsstation oder einem geschlossenen Heim für längere Zeit untergebracht werden würde. Im ersten Gespräch mit dem Psychiater sagte ich dann dümmlicher Weise, dass ich mich, falls ich nicht zurück ins Schulheim könne genauso gut umbringen könne. Und schon war ich auf der geschlossenen Abteilung der Erwachsenenpsychiatrie untergebracht. Mit massiv überdosierten ruhigstellenden Medikamente wurde ich dort zwei Wochen ruhiggestellt. Ich durfte keine Kleider tragen und die Bettenstation nicht verlassen. Es gab keine Zeitungen, kein Radio, kein Fernsehen. Nur mich, Alkoholiker und Drogenabhängige auf Entzug, einen Mörder und zwei Aidspatienten. Der ideale Ort für einen 14-jährigen, zweifellos. Die Medikamente wurden mir weiterhin, also auch im Aufnahmeheim, verabreicht. Ich erhielt eine Dosis, welche eigentlich nur in stationärer Behandlung (150 mg) und unter Bettruhe (90 mg) abgegeben werden dürfte. Ich erhielt 200 mg Taractan. Üblich wären bis ca. 70 mg für mein Körpergewicht üblich gewesen.
Auszug aus dem Bericht der Psychiatrie
Der Heimleiter holte mich dann in der Psychiatrie ab und brachte mich zurück ins Aufnahmeheim.  Die Tage vergingen für mich gefühls- und teilnahmslos vorüber. Von 21.00 - 7.00 Uhr verbrachte man in der Loge. Nach dem Mittagessen wurde man (ich kann mich nicht mehr erinnern) zeitweise eingesperrt oder täglich (???), weil diese Supervision hatten. Man durfte dann aber zu zweit in eine Zelle. Samstags ging man am Nachmittag für einige Stunden spazieren oder in die Sporthalle.  Die meisten Jungs waren einige Tage, ein paar Wochen, vielleicht auch ein bis zwei Monate dort. Bei den Älteren stand sehr oft der Eintritt in eine Arbeitserziehungsanstalt bevor. Es waren nicht wenige Jungs, welche nach Uitikon oder Kalchrain mussten. Damals kamen viele Jungs aus der ganzen Schweiz, weil das Aufnahmeheim Basel neben dem Platanenhof in St. Gallen einzige solche Anstalt war, welche 13 - 18-jährige vor der Untersuchungshaft im Gefängnis bewahrte. Ich kann es nicht sagen, aber es waren sicher an die 100 Jugendliche die ich kommen und gehen sah. Die meisten hatten schon einiges angestellt, wurden schnell handgreiflich, klauten wiederholt Autos begannen Diebstähle oder brachen ein etc. Jemand wie ich, der drei Fenstervorhänge anzündete, welche umgehend gelöscht werden konnten, traf ich keine an. Bei meiner Google suche über jugendliche Brandstifter wurden praktisch alle nach dem Verhör wieder zu den Eltern entlassen. Die meisten erhielten, auch bei Wiederholung nur Sozialstunden auferlegt. Selbst bei Schadensummen in zweistelliger Millionenhöhe. 


Die Gemeinschaftsduschen waren im Keller, am Ende eines langen Ganges. Darüber lag die Wäscherei. Dort fanden die meisten Übergriffe statt, ob mit sexueller oder körperlicher Gewalt. Es ging meist um die Rangordnung. Die älteren versuchten über die jüngeren zu bestimmen. Ich bestand bald darauf alleine duschen zu dürfen, was mir gestattet wurde. Dadurch, dass mir meine Eltern jede Woche Zigaretten einschmuggelten konnte ich mir Probleme mit anderen Jugendlichen weitgehendst vom Hals halten. So konnte ich mich meist irgendwie freikaufen. Darüber hinaus brachten sie mir tonnenweise Süssigkeiten womit ich zusätzlich punkten konnte. Dadurch, dass ich solange im Aufnahmeheim einsass blieb ich dennoch nicht immer verschont. Es gab einen Tischtennistisch und ein Tischfussballtisch. Wenn also das Haus voll war gab es da immer Handgreiflichkeiten. Die Stärkeren konnten spielen, die schwächeren zusehen. Von Seiten der Erzieher waren es nur die Männer, welche Handgreiflich wurden. Es kam nicht regelmässig vor, wie Jahre zuvor, aber war trotzdem Bestandteil. Ich kann mich gut erinnern wie ein 13-jähriger sich wehrte, als er eingeliefert wurde. Der flippte völlig aus. Ein Muskelpaket von einem Erzieher, welcher Kampfsport betrieb, verprügelte ihn brutal. Ein weiteres Mal war es derselbe Erzieher, der eine Schlägerei mit einem Jungen hatte, welcher dann die steinerne Kellertreppe hinunterfiel und sich verletzte. Ich selbst bekam vor allem bei während diesem Aufenthalt mehrfach von einem älteren Erzieher Ohrfeigen. Er genoss es auch die Jungs zu demütigen und zu verspotten. Noch bevor ich entlassen wurde, wurde er pensioniert. Von einem anderen Erzieher wurde ich nur einmal, aber mit voller Wucht, in den Magen geboxt. So vergingen die Wochen und Monate, bis ich mit einer vorsorglichen Massnahme, nach über vier Monaten im Aufnahmeheim, ins Waisenhaus in die Lehrlingsgruppe versetzt wurde. Damals hiess es, dass bis dahin noch nie jemand so lange im Aufnahmeheim verbracht hatte.
Ausschnitt Urteil vom 23. Juni 1982


Wie es mir dort erging  erzähle ich in einem separaten Post. Der Link wird dann hier erscheinen.

Meine Aufarbeitung anhand der damaligen Rechtslage schildere ich hier:

Fürsorgerische Zwangsmassnahmen

Weitere Artikel zum Aufnahmeheim Basel

Artikel BaZ von 2012. Interview mit drei Insassen des Aufnahmeheims Basel

Ein weiterer Bericht eines jugendlichen im Aufnahmeheim von 2008 

Ein Sozialarbeiter im Aufnahmeheim erzählt von 2008 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hier können Sie Ihre Meinung äussern: